Grand California im Familientest

Wie funktioniert das, wenn eine van-technisch unerfahrene Familie auf den Grand California stößt und den Wagen ein paar Tage auf Herz und Nieren testet?

Qual der Wahl

Nachdem wir beschlossen haben, dass wir über ein verlängertes Herbstwochenende herausfinden wollen, ob der Urlaub im Wohnmobil etwas für uns ist, haben wir uns auf der Plattform Paul Camper umgesehen. Das ist so eine Art Airbnb fürs Camping, auf der Besitzer ihre Fahrzeuge zur Vermietung anbieten können. Vom alten T2-Bulli bis zum vollintegrierten Dickschiff ist da alles zu haben und es gibt sowohl private als auch professionelle Anbieter. Gefiltert wird nach Zeitraum, Startort und Personenanzahl, ergänzend können aber auch viele weitere Fahrzeugwünsche angegeben werden.

Wir sind zu viert, brauchen ein Klo, im Herbst eine Heizung und haben den Kastenwagen Knut vorgeschlagen bekommen. Knut ist ein VW Grand California 600 und wohnt mit ein paar Geschwistermodellen beim Anbieter camplust.

Papa, wie sieht Knut aus?

Einige Monate wurde ich sodann regelmäßig vom Fünfjährigen gefragt, ob Knut denn auch so aussehe, ob er genauso groß sei oder welche Farbe er habe, wenn wir an einem Wohnmobil vorbei gekommen sind. Er war ab der Bekanntgabe des Urlaubsplans Feuer und Flamme und entwarf seine Camper-Ideen mit Lego und Buntstift. Die Vorfreude war also schon mal groß.

Auf geht's

Wir haben uns in Richtung Dresden aufgemacht. Sächsische Schweiz, tolle Gegend und der Campingpark in Kleinröhrsdorf hat sich als gut erwiesen.

Das Abholen bei Celle im zuvor gebuchten Zeitfenster hat super geklappt. Eine kleine Einweisung der wichtigsten Sachen ("Immer schön das Dachfenster bei der Fahrt schließen und die Batterie nicht unter 20% gehen lassen!") ist schnell gelaufen, da ich mir zuvor schon das entsprechende Youtube-Video angesehen habe.

Zuhause angekommen haben wir die Kleiderfächer, den Kühlschrank und die weiteren Verstaumöglichkeiten befüllt, ein paar Liter Frischwasser getankt und uns dann auf den Weg nach Osten gemacht.

Der Grand California basiert auf dem Crafter, ist sechs Meter lang, gut drei Meter hoch und zwei Meter breit. Beim letzten Umzug bin ich so etwas schon gefahren, aber eine lange Strecke war neu. Nach kurzer Gewöhnung fährt sich der Wagen aber wie ein PKW. Automatikgetriebe, Tempomat und Rückfahrkamera helfen sehr. Dennoch hat meine Frau gepasst und mich zum alleinigen Fahrer ernannt.

Der Ignatz hat sich als nervig erwiesen. Das Sturmtief ist am Anreisetag über Deutschland hinweggeweht und hat die seitliche Angriffsfläche des Crafters voll ausgenutzt. Vor allem auf Brücken war das ganz spannend.

Kochen, Wohnen, Schlafen

Es war schon dunkel, als wir den Campingplatz erreicht und unsere Parzelle gefunden haben. Anders als beim Zelten hatten wir unser Dach ja bereits über dem Kopf, so dass wir gleich die mitgebrachte Küche ausprobieren konnten. Der Wagen ist mit zwei 11-Kilo-Gasflaschen ausgestattet, die zum Kochen und Heizen genutzt werden können. An alle wichtigen Küchenutensilien sowie Besteck und Geschirr hat der Vermieter gedacht und im erstaunlich großen Spülbecken kann man alles sauber halten. Gefühlt hat es etwas lange gedauert, bis das Nudelwasser trotz Topfdeckel und Windschutz gekocht hat, aber man hat ja Urlaub und Zeit.

Der Tisch muss während der Fahrt auf dem Bett verzurrt und somit erst einmal aufgebaut werden, was fix und ohne Probleme funktioniert. Dennoch wäre es schön, wenn man ihn auch unterwegs stehen und die Kinder dran spielen lassen könnte. Apropos Kinder: Für die hatten wir unsere Kindersitze dabei, die mit Ach und Krach auf die Sitzbank passen und mit Isofix gehalten werden. Wenn wir nicht gerade unterwegs waren, mussten die Sitze im Heck verschwinden, was ganz schön friemelig ist und viel Platz benötigt.

Meine Frau und ich haben auf der Quer-Liegefläche im Heck geschlafen. Ein Maßband hatte ich nicht dabei, aber die angegebenen 190cm Länge sind gefühlt ziemlich optimistisch. Ich bin 181cm groß und jede nur etwas längere Person würde oben oder unten anstoßen. Durch die Tellerfedern unter der Matratze ist die Liegefläche super bequem, spätestens in der zweiten Nacht hat man sich dran gewöhnt und seine Schlafposition gefunden. Für zwei Wochen Urlaub wäre es mir aber zu kuschelig.

Praktisch hätte ich die Möglichkeit gefunden, die Hecktüren aus dem Bett heraus öffnen zu können. Ich hätte mich etwas weniger im Heck gefangen gefühlt.

Die Kinder (8 und 5) haben über dem Fahrerhaus geschlafen. Mehr als ein Kinderbett ist das aber auch trotz der Tragkraft von 150 Kilo nicht und in ein paar Jahren könnten wir sicher nicht mehr zu viert mit dem Crafter reisen. Das gemütliche Höhlen-Feeling hat aber gefallen. Eine furchtbare Konstruktion ist der friemelige Rausfallschutz, der mit Plastikhaken am Dachhimmel gehalten und mit Klettverschlüssen befestigt wird.

Von gleicher Qualität ist auch die Verdunklung der Front- und vorderen Seitenscheiben. Eine Kombination aus Stofflappen und Zeltstangen muss man irgendwie an Sonnenblende und Innenspiegel tüdeln. Das ist super nervig, sieht schrecklich aus und ist eines Campers der Preisklasse absolut unwürdig.

Spätestens wenn die Leiter zum Hochbett steht, ist der Bewegungsraum im Van auf seinem Tiefpunkt. Aber was will man auf der Grundfläche erwarten - funktional und durchdacht sind die Möbel bis ins Detail. Naja, fast: Eine weitere Fehlkonstruktion sind die Sitzpolster. Auf das obligatorische Verschütten des Wasserbechers der Kinder reagieren sie mit einem riesigen Stockfleck, den wir zuhause dann erst mal großflächig herausschrubben mussten. Selbst Regentropfen bleiben auf den Sitzen langfristig sichtbar.

Sehr gut hat mir der Kühlschrank gefallen. Er fasst ganze 70 Liter, ist durch einen Korbeinsatz gut sortierbar und bringt sogar ein kleines Eisfach mit. Natürlich hört man ihn auch nachts regelmäßig arbeiten, aber ein spezieller Ruhemodus reduziert das störende Geräusch deutlich.

Gefallen haben uns auch die zahlreichen Fenster. Vor allem die beiden Dachluken bringen viel Licht ins innere und alles lässt sich separat verdunkeln oder mit Mückennetzen schließen. Vor den kleinen Plagegeistern schützt sogar ein großes zweiteiliges Netz, welches die gesamte Breite der Schiebetür abdeckt - das ist sehr gut gemacht.

Keine Freude macht die automatisch ein- und ausfahrende Trittstufe von Thule, denn sie macht den zweiten Teil ihres Jobs häufig unzuverlässig. Ich bin dann dazu übergegangen, den Einfahrprozess nach dem Schließen der Schiebetür von außen zu beobachten, ggf. mechanisch nachzuhelfen, ums Auto zu laufen und zur Fahrertür einzusteigen. Irgendwie nicht im Sinne des Erfinders.

"Badezimmer"

Die Nasszelle ist eine lustige Sache. Mitten im Fahrzeug, eigentlich immer im Weg, aber vor allem in der Nacht natürlich super praktisch. Der California hat eine Chemie-Toilette mit Außenklappe, ein anklappbares Waschbecken und die Möglichkeit zum Duschen. Letzteres haben wir dann doch lieber in den schön großen Duschhäusern des Campingplatzes gemacht, aber wenn man nicht gerade zu viert unterwegs ist, hat man dank 110 Litern Frischwassertank immerhin die Option, die Nasszelle unter Wasser zu setzen.

Wasserdruck, Ablagemöglichkeiten, alles super. Aber im Bad versteckt sich eine weitere Fehlkonstruktion: Der Bewegungsmelder der Beleuchtung. Während alle übrigen Lampen im Van mit (Touch-)Schaltern bedient werden, geht das Licht im Bad automatisch an. Das ist nett gemeint, sorgt aber dafür, dass man nachts unnötig geblendet wird und gleich alle Mitreisenden wach sind. Okay, durch die Enge und das Gepolter sieht es mit einem unauffälligen Toilettengang eh nicht gut aus, aber das Licht hätte ich gerne selbst gesteuert.

Spielereien und Technik

Alle campingbezogenen Funktionen des Crafters lassen sich über ein zentral angeordnetes Touch-Panel bedienen. Ob Heizung, Wassertemperatur, Beleuchtung und Anzeige der Füllstände von Abwasser, Frischwasser und Batterie - praktisch. Leider zeigten die virtuellen Lichtschalter nach einem Absturz am Panel erst nach einem Reset der Stromsicherung eine Funktion. Radio und Multimedia müssen jedoch vom Fahrraum aus gesteuert werden und zumindest unser Modell hatte auch nur vorne Lautsprecher.

Licht gab es ausreichend. Die Hauptbeleuchtung am Dachhimmel kann man genauso wie die separaten Lampen über Küche, Tisch und an den Betten dimmen. Die optionale farbliche Ambientebeleuchtung hatte unser Knut nicht. Über der Schiebetür befindet sich noch ein Lichtstreifen, der eine gute Außenbeleuchtung ermöglicht.

Ende Oktober war die Heizung wirklich nötig und sie hat gute Arbeit geleistet. Die eingestellten 18 Grad hat sie kontinuierlich durch die Nacht gehalten. Ich hätte sie allerdings besser auf Gasbetrieb gestellt, statt über teuren Landstrom laufen zu lassen. Manches muss man halt erst mal lernen.

Die serienmäßigen und in den Hecktüren verstauten Campingmöbel haben wir nur auf einer Raststätte mal ausprobiert. Sie machen einen erstaunlich stabilen Eindruck, sind aber nur für zwei Reisende vorhanden.

Mietprozess

Der gesamte Prozess mit Paul Camper hat gut funktioniert. Via App hat sich der Buchungs- und Zahlvorgang als praktisch erwiesen und durch die Chatfunktion stand man bei Bedarf rund um die Uhr im Kontakt mit dem Anbieter. Hier kann ich camplust auch nur empfehlen - nächstes Mal buche ich aber direkt dort, was etwas günstiger ist als über Paul Camper. Das Fahrzeug war gerade mal ein halbes Jahr alt, das macht schon viel aus. Jedes Jahr tauscht camplust die Flotte aus.

Die Abgabe des Fahrzeuges hat sich als unkompliziert erwiesen und war alles andere als pingelig. Auch hierfür habe ich ein Zeitfenster gebucht und zuvor die Tanks geleert (Wasser, Klo) bzw. befüllt (Diesel). Den Wagen haben wir innen wie außen gereinigt und ohne Macken nach Hause gebracht. Die zusätzlich gebuchte Versicherung war also wie immer nicht nötig.

Die Kaution wurde gleich am Folgetag zurück überwiesen. Allerdings werden die sich nochmal melden, wenn mein Blitzer-Foto bei denen eingegangen ist - juhu.

Fazit

Wir hatten vier schöne Tage in der sächsischen Schweiz und uns im Crafter wohl gefühlt. Da wir jeden Tag Touren gemacht haben, mussten wir natürlich viel umbauen: Bett rein raus, Tisch auf ab, Sitze hin her. Ob Kochen, Essen, Schlafen oder Wohnen - alles ist durchdacht möglich. Obwohl von manchen als kalter Flugzeuglook verschriehen, gefällt mir persönlich die cleane Optik der weißen Möbel in Kombination mit dunklem Boden.

Im Sommer, wenn auch viel Leben vor dem Wagen stattfindet und man auch mal längerer Stehzeiten hat, macht VWs Lösung bestimmt nochmal mehr Spaß. Der Grand California ist ein guter Kompromiss: Er kommt aufgrund der Größe fast überall hin und hat dennoch hinreichend Platz zum Wohnen, wenn sich eine vierköpfige Familie erst einmal organisiert und an die täglichen Rituale gewöhnt hat.

Würde ich einen Kastenwagen haben wollen? Nein. Für den Familienalltag ist er nichts und daher "nur" ein weiteres Fahrzeug, für zwei, drei Reisen im Jahr stände er zu viel rum. Aber gerade für solche Fälle gibt es ja Leihfahrzeuge und ein solches holen wir uns sicher mal wieder.

naja 👎 juhu 👍
Verdunklung des Fahrerhauses Funktionale Möbel
Rausfallschutz am Hochbett Spülbecken und Kühlschrank
Trittstufe der Schiebetür Fenster und Mückenschutz
Bewegungsmelder im Bad Ablage- und Verstaumöglichkeiten
Überempfindliche Polster Stehhöhe von über zwei Metern

Hinweis: Ich habe alles selbst gekauft und der Anbieter nicht den Artikel. Man kann meine Meinung also Werbung nennen, muss es aber nicht. Wenn ich etwas berichtenswert finde, schreibe ich einfach drüber.




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